Was ist Coaching?
"Meine grösste Erkenntnis nach vielen Jahren des Veränderungsmanagements und unternehmerischen Wandels ist, dass der Erfolg einer Intervention von der inneren Verfassung des Intervenierenden abhängt."
Bill O'Brian, früherer Geschäftsführer der Hanover Insurance, USA
zitiert nach C. Otto Scharmer, Theorie U - von der Zukunft her führen
Zuerst die innere Haltung,
Dann die äussere Form!
Es ist wie beim Malen,
Wo man die weissen Lichter
Zuletzt aufsetzt.
Konfuzius, 551 - 479
1. Definition Coaching
2. Auftragsklärung
3. Grundannahme des Coaching
4. Ebenen der Veränderung
4.1. Veränderung auf Verhaltensebene
4.2. Veränderung auf der Ebene der Werte
5. Literatur
Definition Coaching
Alfried Längle hat einmal geschrieben: "Werte sind wie Brenngläser, die unsere Lebenskraft bündeln und ihr eine Richtung geben". In diesem Sinne hilft Coaching einem Menschen, seine Lebenskraft durch die Brenngläser seiner persönlichen Werte zu bündeln und auf selbst gewählte Ziele wirksam auszurichten.
Coaching unterstützt Menschen bei der ...
- ... Erweiterung ihrer sozialen, fachlichen und methodischen Kompetenzen, um ihre Umwelt zu gestalten
- ... Bereinigung innerer und äusserer Konflikte, um die darin gebundene Energie freizusetzen. Siehe hierzu auch den Artikel Wahrheit heilt - oder was ist Klärungshilfe ?
- ... Entwicklung ihrer Fähigkeit, in der Konfrontation mit dem Unabänderlichen zu einer bejahenden Haltung zu finden und daraus Sinn und Kraft für die Bewältigung zu schöpfen (siehe hierzu auch den Essay End-lich leben und falls ja wozu? ).
Aber Achtung - ist Coaching überhaupt die Lösung für ein wahrgenommenes Problem?
Auftragsklärung
Meine Definition von Coaching legt nahe, schon während der Auftragsklärung für Hinweise offen zu sein, die folgende Fragen beantworten:
Wieviel Lebenskraft und Gestaltungswille ist aufgrund bisheriger Berufs- und Lebenserfahrung zu vermuten und ist leider in der fraglichen Situation derzeit nicht erkennbar? So mag jemand mit erstaunlicher Schaffenskraft und Wille zur Gestaltung seiner Umwelt den Bau seines Hauses vorantreiben, Handwerker führen und erfolgreich auf die Einhaltung eines engen Budgets achten, während in einem beruflichen Projekt nur ein Schimmer dieser Vitalität erkennbar ist.
Meine Erfahrung ist: Wir können dem Klienten keine Lebenskraft zuführen, sondern ihm nur dabei helfen, die in inneren oder äusseren Konflikten gebundene Energie freizusetzen und eine neue Entscheidung zu treffen, für welche Projekte er sich wie stark engagieren will.
Inwieweit unterstützen die persönlichen Werte das gewünschte Verhalten? Eine Informatikerin mit hohem Qualitätsbewusstsein und ausgeprägtem Berufsethos wird sich - wenn überhaupt - nur im Notfall für so genannte "Quick-and-Dirty"-Lösungen engagieren.
Meine Erfahrung ist: Wir können im Coaching keine neuen Werte installieren, sondern nur helfen, sich der eigenen persönlichen Werte bewusst zu werden und neue Wege zu finden, wie diese in der beruflichen Tätigkeit gelebt werden können.
Inwieweit handelt es sich tatsächlich um Ziele, mit denen sich der Mitarbeiter / die Mitarbeiterin identifiziert, d. h. sich diesen also wirklich persönlich verpflichtet fühlt? Hat sich der Mitarbeiter im Zielvereinbarungsgespräch mit den Erwartungen der Führungskraft ernsthaft auseinandergesetzt, so dass am Ende eine glaubhafte Zielvereinbarung erreicht wurde, die diesen Namen auch verdient -, oder gibt es lediglich ein Lippenbekenntnis des Mitarbeiters zu den vorgesetzten Zielen des Vorgesetzten? Im Bild gesprochen: Wurde der angebotene Apfel (die Leistungserwartung der Führungskraft!) überhaupt als solcher wahrgenommen, hat er den Appetit angeregt, Lust geweckt, hinein zu beissen, ihn zu schmecken, ihn zu zerkleinern (die Auseinandersetzung!), in verträglichen Happen zu schlucken, zu verdauen, seine wertvollen Nährstoffe sich zu eigen zu machen (die Identifikation!) und den Rest in einer Weise, die der Anstand gebietet, ausgeschieden (unverdauliche Aspekte des Zieles werden im Geiste einer gemeinsam tragfähigen Vereinbarung gestrichen!). Oder fand in einer Kultur der Anweisung vorschnelles Schlucken des Apfels statt mit dem Ergebnis, dass dieser - an sich durchaus gesund - nun als unzerteilter und somit unverdaulicher Fremdkörper im Magen des Unglücklichen lastet und eher früher als später zum Tode führt (=Erlöschen jeglichen persönlichen Engagements für das vorgesetzte Ziel mit der Folge, dass es mehr Krampf als persönlichen Kampf für das Ziel gibt).
Meine Erfahrung ist: Wir können mit Coaching keine passgenaue Identifikation mit vorgegebenen Zielen herbeiführen, sondern nur die ernsthafte Auseinandersetzung mit den gegenseitigen Erwartungen fördern. Das Ziel dieser Auseinandersetzung ist Klarheit, wie der Mitarbeiter auf die an ihn gerichteten Erwartungen mit seinem persönlichen Einsatz antworten will. Ergebnis: offen.
Nach Klärung dieser Fragen empfiehlt es sich, erneut die Interessen zu prüfen, bevor eine Empfehlung zum weiteren Vorgehen ausgesprochen wird, - denn mitunter verändern allein die Fragen der Auftragsklärung schon das Problemverständnis - und damit auch das Verständnis dessen, was "not"-wendig ist:
Wer wünscht sich jetzt noch Coaching: die Führungskraft oder der Mitarbeiter oder beide? - und falls ja, zu welchem Zweck?
Grundannahme des Coaching
Die unverzichtbare Grundannahme für sinnvolles Coaching: Der Mensch ist grundsätzlich lernfähig. Der Eindruck, dass tatsächlich etwas gelernt wurde, beruht meist auf der Beobachtung von Verhaltensänderungen. Zum Beispiel: "Er hat endlich gelernt, Projekte rechtzeitig abzuschliessen, denn die letzten drei Einführungstermine wurden eingehalten." oder "Es gelingt ihr weit mehr als früher, auftretende Konflikte im Team rechtzeitig anzusprechen und tragfähige Lösungen zu erarbeiten, bevor es zu einer Eskalation kommt. Seither äussern sich die Mitarbeiter wesentlich positiver, wenn sie zum Arbeitsklima berfragt werden."
Verhaltensänderung bedeutet in der Regel, dass wir ein anderes Verhalten lassen bzw. "verlernen". Zum Beispiel müssen all jene Verhaltensweisen, die bisher zum Überschreiten der Terminvorgaben geführt haben, unterlassen oder zumindest eingedämmt werden - das mag in einem Software-Projekt die bereitwillige Berücksichtigung zusätzlicher Kundenwünsche kurz vor Abschluss der Realisierungsphase sein. In einer Konfliktsituation muss auf abwertende Äusserungen verzichtet werden, wenn statt einer Eskalation die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Teams angestrebt wird. Wenn jemand dennoch ein Verhalten nicht zu "verlernen" scheint, liegt das häufig daran, dass die Ziele, die mit diesem Verhalten erreicht werden, nicht genügend reflektiert und gewürdigt sind.
Folgendes einfache Beispiel, das natürlich nicht typisch für ein Anliegen im Coaching ist, uns dafür aber an dieser Stelle die ansonsten erforderlichen Ausführungen zum Kontext erspart, verdeutlicht diesen Ansatz: Jemand möchte sich aus gesundheitlichen Gründen das Rauchen abgewöhnen. Sein Ziel, das er allerdings mit dem Rauchen bisher erreicht hat: Entspannung in Stresssituationen, Sich etwas Gutes tun, mit anderen beim Rauchen in der "Raucherecke" zwanglosen Austausch haben etc... Allerdings gibt es nicht selten einen zunehmenden Zielkonflikt - zum Beispiel: Gesundheit.
Wird nun das Rauchen aufgegeben, müssen andere Verhaltensweisen zur Verfügung stehen, um sich zu entspannen, sich etwas Gutes zu tun und mit anderen zwanglos Austausch haben zu können, sonst werden diese nicht länger gewürdigten Bedürfnisse zu einer Quelle (un)bewussten Widerstands und vereiteln das Vorhaben, von nun an gesünder zu leben.
Sind erst mal die wichtigsten Ziele und Bedürfnisse, die mit der zu verändernden Verhaltensweise bisher verfolgt und erfüllt wurden, herausgearbeitet, gibt es verschiedene Ansatzpunkte für eine gezielte Veränderung des Verhaltens (in unserem Beispiel "Rauchen"):
Ebenen der Veränderung
Veränderung auf Verhaltensebene
Gibt es alternative Wege zu den selben Zielen und wie können diese etabliert werden?
Gemeinsam mit dem Klienten werden unter Berücksichtigung seiner persönlichen Lebensgeschichte und Fähigkeiten neue Möglichkeiten gesucht, die Ziele, die bisher mit dem Rauchen verfolgt wurden, auf andere Weise zu erreichen - und zwar solche, die ein anderes Ziel ("Gesundheit") nicht torpedieren, sondern am besten diesem auch noch dienen. Sind diese gefunden, müssen diese Verhaltensweisen nicht selten erst noch eingeübt und im Alltag bewusst etabliert werden. Zum Beispiel Joggen: Wo? Gibt es eine für den Klienten attraktive Umgebung und was wäre für ihn eine gute Tageszeit? Will er es alleine tun oder sich mit Gleichgesinnten zusammentun - was nebenbei eine neue Möglichkeit für Austausch schaffen würde.
Veränderung auf der Ebene der Werte
Was ist mir wie wichtig? Eine auf bewusster Einsicht oder unbewussten Lernprozessen beruhende Veränderung von Prioritäten führt dazu, dass bisher als unverzichtbar erachtete Ziele an zweite oder dritte Stelle rücken. In unserem Beispiel könnte mit zunehmendem Alter und wachsender Verantwortung für eine wachsende Familie das Ziel gesund und leistungsfähig zu bleiben immer wichtiger werden und das lieb gewonnene Rauchen immer fragwürdiger erscheinen lassen. Diese Umwertung, die mit dem Hineinwachsen in eine neue Lebensphase und Verantwortung einhergeht, führt dazu, auf die kurzfristigen Entspannungsmomente durch Rauchen von nun an freiwillig zu verzichten.
In dem Essay Warum Nacktschnecken so selten nach dem Sinn des Lebens fragen vertiefe ich die Bedeutung persönlicher Werte für unser Verhalten. Darin erläutere ich unter anderem anhand eines Beispiels aus meiner Praxis als Coach, wie wichtig es ist, persönliche Werte und die individuelle Lerngeschichte eines Klienten zu würdigen, wenn Veränderungsarbeit wirksam sein und dauerhaft Früchte tragen soll
Literatur
- Block, P. et al: The Flawless Consulting Fieldbook and Companion - A Guide to Understanding Your Expertise, Jossey-Bass, San Francisco 2001
- Covey, Stephen R.: Der 8. Weg - mit Effektivität zu wahrer Größe, 2006
- Jaworski, J.: Synchronicity - The Inner Path of Leadership, Berrett-Koehler Publishers, San Francisco, 1998
- Kuhl, Julius; Strehlau, Alexandra: Handlungspsychologische Grundlagen des Coaching. Reihe ''essentials'' Springer Verlag 2014.
- Längle, A; Bürgi, D.: Existentielles Coaching. Theoretische Orientierung, Grundlagen und Praxis für Coaching, Organisationsberatung und Supervision. Wien, 2014.
- Looss, W.: Unter Vier Augen: Coaching für Manager, E H P, Köln, 2006
- Martens, J.; Kuhl J.: Die Kunst der Selbstmotivierung, 5. Überarbeitete Auflage, Kohlhammer, 2013
- Storch, Maja; Kuhl, Julius: Die Kraft aus dem Selbst, 2. Auflage, 2013