Das Wir, die Gruppe: Die vier Phasen der Teamentwicklung nach Scott Peck
Fast jede Form von Geburt beinhaltet genauso viel Schmerz wie Freude und Wunder. Immer wenn eine Gruppe einen bedeutenden Durchbruch erzielt, gibt es zuerst viel Frustration. Wenn Frauen sich an die Geburtsschmerzen genauestens erinnern würden, dann wäre die Zukunft der Menschheit ernsthaft in Gefahr. Und wenn wir uns alle an den Schmerz der Prozessarbeit genau erinnern würden, würden wir wahrscheinlich den Beruf wechseln.
C. Otto Scharmer, Theorie U - von der Zukunft her führen
1. Einführung
2. Die zwei Ebenen der Führung
3. Die vier Phasen der Teamentwicklung
3.1. Das Pseudo-Team
3.2. Die Chaos-Phase
3.3. die Phase der Leere
3.4. das arbeitsfähige Team
4. Literatur
5. Weblinks
Einführung
Ein optimaler Nährboden für kreative und innovative Teamarbeit ist eine Kultur, in der freimütig Ideen geäußert und im ungezwungenen Austausch weiterentwickelt werden. Solch ein Nährboden wird niemandem geschenkt. Diesen Nährboden muss sich eine Gruppe - sofern sie ihn denn für notwendig erachtet - erst erarbeiten. Die Gruppe muss reifen. Die bunt zusammengewürfelte Ansammlung von Menschen in einem Besprechungsraum muss sich erst zu einer Gruppe entwickeln, in der jeder mit hohem Engagement zur Erreichung des gemeinsamen Zieles beiträgt. Die Reifung zum arbeitsfähigen Team ist eine kollektive Herausforderung für die gesamte Gruppe und nicht die alleinige Verantwortung des Leiters. Allerdings kann er einiges tun, um die Reifung des Teams zu behindern oder zu fördern. Das folgende Modell eignet sich hervorragend, um zu überprüfen, wo das Team in seiner Entwicklung steht und was notwendig ist, damit es sich zu einer arbeitsfähigen Gruppe entwickelt, die ihr Potential voll ausschöpft.
Das ursprüngliche Modell stammt von Scott Peck, mit dem er die Phasen der Entwicklung von sogenannten "true communities" (wahren Gemeinschaften im Gegensatz zu Pseudo-Gemeinschaften) beschreibt.
Da auf der einen Seite die von ihm beschriebenen Phasen äußerst relevant für Teamentwicklungsprozesse sind, auf der anderen Seite das hierarchisch geprägte Umfeld in Organisationen zusätzliche Komplexität in den Gruppenbildungsprozess bringen, habe ich das Modell für die Verwendung in Organisationen angepasst.
Der Titel des Buches ("The different Drum"), in dem er das Modell vorstellt, ist eine Anspielung auf die Trommel in der Marschmusik, zu der Menschen im Gleichschritt marschieren. Er nennt sein Buch sinngemäß übersetzt "die andere Trommel", um deutlich zu machen, dass es auch einen anderen Weg gibt, um Menschen eine Gruppe werden zu lassen, und zwar eine Gruppe, deren Mitglieder sich auf einer viel tieferen Ebene aufeinander eingestimmt haben - wohlgemerkt nicht als Selbstzweck, sondern mit klarem Blick auf ein gemeinsames Ziel.
Vorab möchte ich kurz zwischen zwei Ebenen der Führung unterscheiden, da diese Unterscheidung notwendig ist, um das Modell der Teamentwicklung nach Scott Peck in seiner weitreichenden Bedeutung für die Teamführung- und Entwicklung zu erfassen.
Die zwei Ebenen der Führung
Es ist nützlich, zwischen der Ebene der inhaltlichen Führung und der Ebene der prozess-orientierten Führung zu unterscheiden.
Bei der inhaltlichen Führung gebe ich als Leiter vor, was getan wird und/oder wie es getan werden muss. Ich setze Ziele, delegiere Aufgaben und überprüfe deren Erledigung.
Bei der prozessorientierten Führung geht es mir als Leiter nicht um die Inhalte, sondern um die Steuerung des Arbeitsflusses im Team. Ich gestalte sozusagen das Flussbett, das Wasser liefern die von mir geführten Menschen. Wenn es der zur Verfügung gestellte Gestaltungsraum zulässt und die Gruppe ein hohes Niveau an Eigenverantwortung und Selbstorganisation erreicht hat, bestimmt die Gruppe auch noch die Richtung. Auf dieser Ebene der prozessorientierten Führung bin ich als Leiter inhaltlich abstinent.
Natürlich bewegen sich die meisten Führungskräfte auf beiden Ebenen. Es ist für jede Führungskraft nur äußerst wichtig, sehr klar zu sein, wann sie auf welcher Ebene der Führung agiert, und diesbezüglich auch für die geführten Menschen transparent und vorhersagbar zu sein. Sonst entstehen Irritation und Verwirrung. Wenn die nötige inhaltliche Führung zu stark ist, empfehle ich, die Moderation der nötigen Entwicklungsprozesse durch einen professionellen Berater moderieren zu lassen.
Moderation ist die Kunst, mit geeigneten Mitteln und Arbeitsstrukturen prozessorientiert zu führen, inhaltlich abstinent zu sein und dies auch deutlich zu machen, d. h. die Geführten wissen, dass sie nur in ihrem Arbeitsprozess geführt werden und die Inhalte selbst liefern müssen.
Wenn im folgenden über die Rolle der Führungskraft im Prozess der Teambildung gesprochen wird, dann ist damit die prozessorientierte Führung gemeint. Je stärker die Führungskraft inhaltlich führt, desto weniger kann sie gleichzeitig das Team durch die Phasen der Teambildung führen. Warum das so ist, wird bei der folgenden Beschreibung der einzelnen Phasen deutlich.
Die vier Phasen der Teamentwicklung
Es lassen sich in Anlehnung an das Modell von Scott Peck vier Phasen der Teambildung unterscheiden:
- das Pseudo-Team
- die Chaos-Phase
- die Leere - der Nullpunkt
- das arbeitsfähige Team
Das Pseudo-Team
Das Pseudo-Team ist, wie die gewählte Bezeichnung unschwer erahnen lässt, eine Gruppe von Menschen, die nur in der Illusion schwelgen, ein Team zu sein. Man ist zwar freundlich zueinander, unterhält sich aber nur über Belanglosigkeiten. Da in dieser Phase Freundlichkeit und Konfliktfreiheit oberstes Ziel ist, bleiben die heißen Kartoffeln im Feuer - bis sich vielleicht jemand außerhalb des Teams berufen fühlt, sie eigenmächtig aus dem Feuer zu holen. Sprich: Wesentliche Entscheidungen werden außerhalb der Teamsitzungen getroffen. Es werden Fakten geschaffen und das Team wird in seiner ursprünglichen Entscheidungskompetenz zunehmend entmündigt.
Es kann jedoch auch sein, dass notwendige Entscheidungen verschleppt werden und dann aufgrund des drohenden Einführungstermins hastig und unüberlegt durch irgend jemanden getroffen werden. In jedem Fall hat die Projektgruppe ihre Aufgabe verfehlt, als Schmelztiegel für die unterschiedlichen Interessen der betroffenen Abteilungen zu dienen. Wer solch einer Teamsitzung beiwohnt, wird nicht selten von Gefühlen der Langeweile und Müdigkeit heimgesucht.
Diese Phase entspricht der Anpassungsschicht des Modells der emotionalen Schichten, das ich in dem Kapitel Das Ich, die Person beschrieben habe. Die Phase des Pseudo-Teams lässt sich nicht verhindern. Jede Gruppe startet in dieser Phase. Wenn sich ein neu gegründetes Projektteam das erste mal trifft, ist sie zunächst einmal eine Ansammlung von Menschen, die mit Fragen beschäftigt sind wie z.B. Wer sind die anderen? Was ist hier möglich? Was ist mein Status in dieser Gruppe? Wer hat wie viel Einfluss? Wie werde ich meine Interessen in dieser Gruppe verfolgen können etc ...
Viel prüfen erst einmal auf ihre Weise, wer die anderen sind, ohne schon allzu viel von sich selbst zeigen zu wollen. In den seltensten Fällen werden sofort die heißen Themen angegangen. Man "beschnuppert" sich erst einmal und hält sich bedeckt. Kurz: die Gruppe ist noch nicht arbeitsfähig.
Schwierig wird es, wenn eine Gruppe in dieser Entwicklungsphase stecken bleibt. Dann empfiehlt sich für jeden - nicht nur für den Leiter - zu prüfen, inwieweit die eigene Vorsicht und Bedecktheit hinsichtlich dessen, was gemeinsam erreicht werden soll, noch zweckdienlich ist. Wenn niemand wagt, mit eigenen Meinungen und Perspektiven sichtbar zu werden, bleibt es langweilig. Deshalb habe ich dieses Stadium in der Grafik grau eingefärbt.
Es kann auch sein, dass ein Team in diese Phase zurückfällt. Grund für diesen Rückfall sind meist unausgesprochene, schwelende Konflikte. Niemand wagt mehr, als erster das Problematische anzusprechen. In solchen Fällen ist es ratsam, mit Hilfe professioneller Begleitung durch einen außen stehenden Berater und Moderator einen geschützten Rahmen zu schaffen, in dem wieder gewagt wird, das scheinbar unaussprechliche einmal auszusprechen.
Ein Beispiel:
Ich wurde gebeten, einen zweitätigen Workshop für ein bestehendes Team zu moderieren. Während der Auftragsklärung wurde mir der Eindruck vermittelt, dass es nicht wirklich Konflikte gäbe, aber generell der Wunsch bestünde, einmal Zeit zu haben für die Themen, die im Alltagsgeschäft nie zur Sprache kamen.
Von Anfang herrschte im Workshop eine oberflächlich freundliche und eher langweilige Atmosphäre. Wenn sich bei mir als Leiter der Impuls aufdrängt, ich müsse die Gruppe irgendwie unterhalten, ist dies meist ein Hinweis für mich, dass es für die Gruppe ein spannendes Thema geben könnte, das sie als so spannend erlebt, dass es schon bedrohlich ist - und deshalb vermeidet. Wo etwas vermieden wird, entsteht ein Vakuum, das als unangenehm erlebt wird und deshalb irgendwie aufgefüllt werden muss. Dieses Vakuum erlebe ich in der Rolle des Leiters als Animationsdruck: "Unterhalte uns doch bitte, damit wir nicht die unangenehme Leere spüren müssen, die das, was wir gerade vermeiden, hinterlassen hat."
Um dem Unausgesprochenen die Chance zu geben, sichtbar zu werden, machte ich den Teilnehmern den Vorschlag, mit Hilfe von mitgebrachten Figuren und einfachen Materialien die jeweils eigene Sicht des Teams darzustellen. Bei der darauffolgenden Betrachtung der entstandenen Bilder war das vermiedene Thema nicht länger zu leugnen und wurde von den überraschten Teilnehmern selbst zur Sprache gebracht. So unterschiedlich die Bilder auch waren: es gab eine Gemeinsamkeit. Die Gemeinsamkeit war eine bestehende "geheime" Koalition zwischen zwei Teammitgliedern, die viel verhinderte, aber die niemand bisher gewagt hatte anzusprechen. Das war der Auftakt für die anschließende äußerst spannende Aussprache und Klärung.
Die Chaos-Phase
Während man sich in der Phase der Pseudo-Gemeinschaft mit freundlichen Belanglosigkeiten langweilt und sich gegenseitig etwas vormacht, bricht in der zweiten Phase das Chaos aus. Die Phase des Chaos ist im wesentlichen durch den Versuch geprägt, sich gegenseitig zu überzeugen und eines besseren zu belehren. Kurz: man will den anderen ändern, glaubt selbst im Besitz der Wahrheit zu sein und kann den anderen ihre Wahrheit nicht lassen. Unterschiedliche Auffassungen und Meinungen sind ja auch schwer auszuhalten, wenn man nur eine einzige Wahrheit für möglich hält und sich im Besitz der selben glaubt. Also wird der andere bearbeitet. Diese Haltung macht überhaupt erst die Chaos-Phase möglich. Die Stimmung ist gereizt oder offen aggressiv, Angst und Kampf liegt in der Luft. Vorsichtigere in der Gruppe sind auf der Hut und gehen in Deckung, Mutigere liefern sich verbale (oder auch mal handgreifliche) Scharmützel. Das Projektteam verkommt zum Schlachtfeld.
So schwer die Chaos-Phase auch auszuhalten ist - und nicht selten ist sie recht schmerzhaft - es führt kein Weg daran vorbei, wenn sich die Gruppe zu einem arbeitsfähigen Team entwickeln will.
Kontraproduktiv sind hier Haltungen, die das Austragen des Notwendigen verhindern, z.B. weil der Konflikt nicht gewagt wird aus Angst, angegriffen zu werden oder weil man weiterhin von allen geliebt oder wenigstens werden will. Mitunter sind Konflikte auch tabuisiert, um ein illusionäres Selbstbild des Teams aufrechtzuerhalten ("bei uns gibt es keine Konflikte!").
Gerade weil die Chaos-Phase einige Unannehmlichkeiten für alle Beteiligten mit sich bringt, weckt sie auch schnell das natürliche Bedürfnis bei den Betroffenen, ihr auszuweichen. Hier gibt es zwei große Fallen.
Eine der großen Fallen in der Chaos-Phase ist die Flucht in die Fragmentierung: Die Gruppe zerfällt in Untergruppen. Gegensätzliche Meinungen, die im Gesamtteam ausgetragen werden müssten, werden durch Delegation in Arbeitsgruppen von der Agenda des gesamten Teams gestrichen. Die Bildung solcher Untergruppen kann entweder informell sein, in dem sich jeweils die Menschen zusammentun, die eine ähnliche Meinung hinsichtlich eines bestimmten Themas haben. Über diese Meinungen wird dann zwischen den Sitzungen im vertrauten Kreis viel und während den Sitzungen überhaupt nicht mehr gesprochen.
Es findet kein offenes Gespräch mehr miteinander statt, sondern nur noch ein Gespräch im Verborgenen über die jeweils anderen. Die gerade beschriebene Variante der Kleingruppenbildung ist inoffziell, da sie nicht beschlossen wird, sondern selbstorganisiert einfach geschieht, ohne dass jemand hierzu aufgerufen hätte.
Die Haltung: "Wir sind die Guten, die anderen sind die Bösen / Unfähigen, Uneinsichtigen, etc..." entsteht und beginnt sich metastasenartig auszubreiten. Solch eine Fragmentierung kann zu einer großen Gefahr für eine Organisation werden, weil die Menschen nicht mehr miteinander, sondern nur noch mit Gleichgesinnten übereinander reden. Es ist eine Gefahr, weil Interessensgegensätze nicht mehr konstruktiv ausgehandelt werden. Das Erliegen der Kommunikation treibt immer stärkere Keile in die Unternehmenskultur.
Bei der offiziellen Variante wird das Motto "Teile und herrsche" bzw. "Wenn du nicht mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis" beherzigt: Es wird schnell eine offizielle Arbeitsgruppe gebildet, um die drohende Eskalation der Diskussion im Gesamtteam mit Verweis auf diese Arbeitsgruppe abzuwürgen. Natürlich ist nicht jede Arbeitsteilung oder Bildung einer Arbeitsgruppe eine Flucht vor Konflikten. Die Arbeitsteilung an sich ist eine hervorragende Erfindung, ohne die komplexe Projekte niemals bewältigbar wären. Aber wie jede gute Erfindung kann eben auch diese missbraucht werden.
Gefahr bei der offiziellen Variante der Arbeitsteilung: die konflikthaften Themen werden in den einzelnen Arbeitsgruppen nicht mehr ausgetragen - zum Beispiel weil die kleineren Gruppen nicht mehr die Vielfalt der Großgruppe widerspiegeln, sondern hinsichtlich Sichtweisen und Interessen eher homogen sind. Oder es wird in den einzelnen Arbeitsgruppen nur noch über die jeweils anderen gemäkelt und gelästert.
Eine zweite Falle in der Chaos-Phase ist es, dem Ruf nach starker Führung zu folgen.
Unvereinbar erscheinende Interessensgensätze sind einfach unangenehm. Da liegt es nahe, den Leiter des Projektteams oder der Abteilung aufzufordern, endlich zu sagen, wo es lang geht und ein Machtwort zu sprechen. Nun ist es so, dass die meisten Führungskräfte in ihre Position gekommen sind, weil sie initiativ und entscheidungsfreudig sind. Genau diese Stärke kann in solch einer Phase zur Schwäche werden. Denn wenn der Leiter unreflektiert dem Lockruf folgt, doch endlich seinen Job zu tun und zu sagen wo es langgeht, kann es sein, dass er genau das Falsche tut. Warum könnte ein Machtwort das Falsche sein?
Auf der Inhaltsebene läuft er Gefahr, dass er eine falsche Entscheidung trifft, wenn er den Expertenstreit löst, ohne selbst das nötige Expertenwissen zu haben. Wozu hat er denn Experten, wenn er dann doch selbst entscheidet? Besser wäre es, die Experten darin zu unterstützen, sich zu einer gemeinsamen Entscheidungsvorlage durchzuringen, die alle wichtigen Sichtweisen und Argumente enthält.
Auf der Beziehungsebene läuft er Gefahr, dass er der Gruppe die Verantwortung abnimmt und sie damit auch der Gelegenheit beraubt, einen Konflikt eigenverantwortlich auszutragen. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass er auch das nächste mal wieder schlichten muss und die Gruppe immer abhängiger von der Leitung wird. Besser wäre es, er würde der Gruppe darin unterstützen, ihren Konflikt so zu lösen, dass sie dabei auch lernt, wie sie das nächste Mal ihren Konflikt selbst lösen kann. Zum Beispiel können Menschen in einer Gruppe aufgrund der entstandenen Spannungen nicht mehr fähig sein, einander ausreden zu lassen und wirklich zuzuhören. In solch einem Fall bedarf es professioneller Gesprächssteuerung, um jeden zu Wort kommen zu lassen und mit einfühlender Übersetzungshilfe auch das gegenseitige Verständnis zu fördern. Ist die Erfahrung positiv, sind die beteiligten Menschen motiviert, das nächste Mal eigenverantwortlich und ohne fremde Unterstützung ihre Interessensgegensätze auszuhandeln.
Kurz: Eine starke Führungskraft kann mit ihrem Machtwort zwar schnell Frieden schaffen. Eine derart befriedete Gruppe kann jedoch niemals zu einer wirklich arbeitsfähigen Gruppe werden, weil sie sich niemals durch das Austragen ihrer Konflikte und dem respektvollen Anerkennen nicht ausräumbarer Differenzen zu einer Gruppe zusammengerauft hat. Selbständig agierende Teams und autoritäre Führung sind inkompatibel.
Natürlich ist eine starke, entscheidungsfreudige Führungskraft nicht per se eine Gefahr. Solch eine Führungskraft muss nur mit hohem Bewusstsein die eigene Autorität und Entscheidungsfreudigkeit zügeln, wenn die anstehenden Entscheidungen von allen mit innerer Überzeugung mitgetragen werden müssen und zu vermuten ist, dass die gebündelte Fachkompetenz sowie der Erfahrungshorizont des Teams das Wissen der Führungskraft übersteigt.
Die Chaos-Phase entspricht der Schicht der abwehrenden Gefühle im Modell der emotionalen Schichten, denn auch hier geht es um Abwehr, und zwar um Abwehr der jeweils anderen mit ihren Meinungen und individuellen Eigenheiten. Wo etwas abgewehrt wird, ist die Atmosphäre latent aggressiv.
Wenn ein Projektteam auf der Stufe des Chaos stecken bleibt, verkommen die Sitzungen zu unliebsamen Schlachtfeldern, auf denen gegenseitige Schuldzuweisungen und Angriffe die Atmosphäre beherrschen. Die jeweils anderen werden als Gegner wahrgenommen, die es möglichst abzuwehren oder über den Tisch zu ziehen gilt. Nur eines findet nicht mehr statt: Zuhören.
Ein Team, das sich zu einem arbeitsfähigen Team mit einem hohen Maß an Eigenständigkeit und Selbstverantwortung entwickeln will, muss aber nicht nur eine andere Kommunikationskultur entwickeln - es muss die nächste Herausforderung meistern, um zu einem wirklich kraftvollen Team zu reifen.
die Phase der Leere
Es gibt nur einen Weg aus der Chaosphase - wenn wir mal den Weg zurück in die zudeckende Phase der Pseudo-Teams vernachlässigen: der Weg in und durch die Leere. Was bedeutet diese Stufe?
Ein Team in der Phase der Leere erkennt man daran, dass jede und jeder innehält und seine Erwartungen, Wahrheitsansprüche, und Vorurteile aufgibt. Jede und jeder hält inne und hört auf, den anderen konvertieren, überzeugen oder sonst wie bekehren zu wollen.
Jede und jeder hält inne und lässt seine Ideologie, Theologie und mitgebrachten Lösungswege im Koffer, anstatt die anderen noch länger zu missionieren.
Die Phase der Leere ist noch bedrohlicher als die Chaos-Phase - vor allem für jene, die ihr Heil in der Kontrolle des Geschehens suchen. Es ist bedrohlich, weil Altes losgelassen werden muss, bevor das Neue in Händen gehalten werden kann, vielleicht noch nicht einmal in Sicht ist. Wer macht das schon freiwillig? Doch nur der, der eingesehen hat, dass das Alte eine Sackgasse ist. Die Phase der Leere birgt eine Gefahr für den Leiter, der er schon in der Chaosphase begegnet ist - nur ist sie jetzt noch größer:
Der Leiter ist aufgrund seiner Führungsverantwortung immer wieder versucht, durch Interventionen das Geschehen in der Phase der Leere im Sinne seiner eigenen Interessen manipulieren zu wollen - und genau dieses Leiterverhalten verhindert, dass das Team eine neue Erfahrung machen kann: Wir können miteinander laut denken, uns gegenseitig inspirieren und in einen gemeinsamen kreativen Prozess kommen, an dessen Ende nur noch das gemeinsam errungene Ergebnis zählt und nicht mehr wichtig ist, wer was wann beigetragen hat.
Das Durchschreiten der Leere ist einer der schwierigsten Schritte - für jeden einzelnen. Denn es ist eine Reise ins Unbekannte. Gerade in dieser Phase der Leere kann der Anspruch an den Leiter wieder aufflackern, er solle doch sagen, wo es lang geht. Das einzige, was ein achtsamer Leiter in dieser Phase tun sollte ist, das Team im Durchschreiten und Aushalten der verschiedenen Phasen zu unterstützen - jedoch keine inhaltlichen Vorgaben zu machen. Wenn er es dennoch tut, muss er sich nur im klaren sein, dass er damit den Pfad hin zum eigenständigen kreativen Team verlässt und wieder eine Ansammlung von Menschen um sich herum hat, die darauf warten, seinen Worten Folge zu leisten oder sich gegen sie aufzulehnen. Das kreative Potential der Gruppe wird jedoch nicht genutzt.
Die Phase der Leere entspricht der Phase der abgewehrten Gefühle wie Ohnmacht, Hilflosigkeit und Verzweiflung im Modell der emotionalen Schichten, denn genau solche Gefühle erleben die Teammitglieder in dieser Phase. Anstatt jedoch wieder in die Abwehr zu gehen und beispielsweise ungeduldig wieder ein Machtwort durch den Leiter einzufordern, halten die Teammitglieder diese Gefühle aus. Sie kämpfen nicht mehr gegeneinander und versuchen auch nicht mehr, einander zu bekehren. Sie akzeptieren, dass eine Lösung gerade nicht in Sicht ist.
Der Verzicht auf die Abwehr dieses Zustands öffnet sie für Neues - ein arbeitsfähiges Team, in dem die Menschen ohne Vorurteile und Ängste freimütig miteinander Ideen austauschen, weiterentwickeln und sich gegenseitig inspirieren, wird möglich.
das arbeitsfähige Team
Die Kultur der Zusammenarbeit im arbeitsfähigen Team ist charakterisiert durch ein friedliches Wahrnehmen eines jeden Einzelnen - ohne Kampf, ohne Profilierungen und Rechthaberei. Wenn vielleicht mal Unterbrechungen stattfinden, dann im Eifer beim Ringen um die gemeinsame Sache, jedoch nicht, um einander das Wort abzuschneiden und das Wortgefecht zu gewinnen. Die Anwesenden fühlen sich durch die gemeinsam geschaffene Atmosphäre eingeladen, ihre eigenen Ideen und Sichtweisen mitzuteilen, ohne sich vor etwaigen Angriffen schützen zu müssen. Das Friedvolle und gleichzeitig Lebendige, das solch eine wahre Gemeinschaft kennzeichnet, beruht nicht auf oberflächlicher Einstimmigkeit um des lieben Friedens willen, sondern auf dem gegenseitigen Respekt für die Ideen und die Sichtweise, die jemand mitzuteilen hat - so individuell und unterschiedlich sie auch sein mögen.
Die Arbeit in einem solchen Team ist nicht unbedingt leichter oder bequemer, jedoch viel inspirierender und effektiver als die Arbeit in einem Pseudo-Team. Entscheidungen, zu denen sich das Team in durchaus engagierten Diskussionen durchringt, sind gerade deshalb tragfähig und von hoher Verbindlichkeit. Sie sind unerlässlich für die Bildung eines Teams, das ihr Potential voll und ganz ausschöpft.
Jede Gruppe braucht einen thematischen Kristallisationspunkt bzw. Fokus. Wenn dieser nur unscharf definiert - bzw. in seinen verschiedenen Aspekten nicht hinreichend präzisiert ist, kann eine Gruppe ihre Kräfte nicht sinnvoll bündeln. Mit Hilfe des Zielkreuzes läßt sich solch ein thematischer Fokusbzw. der Auftrag, den eine Gruppe erhalten hat oder sich selbst gegeben hat, hervorragend beschreiben. Deshalb erläutere ich im nächsten Kapitel die vier Aspekte des Zielkreuzes: Das "Es", Das Ziel, Das Zielkreuz
Literatur
- Belbin, R. M.: Management Teams. Why they succeed or fail. Third Edition, 2011.
- Cohn, Ruth: Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion. Klett Cotta. 1975, 2000, 14. Auflage
- Peck, Scott: The Different Drum: Community-Making and Peace.Touchstone New York, 1987.
- Scharmer, C. Otto: Theorie U - Von der Zukunft her führen - Presencing als soziale Technik, Carl-Auer Verlag, 2009
- Schein, Edgar H., Organizational Culture and Leadership, 3rd Edition, Jossey Bass, San Francisco, 2004
Weblinks
- In meinem Essay Sinn. Auf der Suche nach dem verlorenen 'Wozu' bespreche ich die 'Theorie U' von Otto Scharmer. Sie bietet gute Orientierung für Gruppen und Organisationen, die sich für die gemeinsame Gestaltung ihrer Zukunft inspirieren lassen wollen..